Sonntag, 13. August:
Rumhängen mit Dorfrundgang
Unsere Vermieter sind gestern spätabends aus dem Urlaub zurückgekehrt, und Rachel schaut am Vormittag bei uns vorbei, um uns nach Wünschen, Problemen und dem allgemeinen Wohlbefinden zu befragen. Wir haben keine Wünsche, nur ein paar kleinere Fragen die Gegend betreffend und freuen uns über die herzliche Begegnung.
Ein kurzer Blick aus dem Küchenfenster: KATZENALARM! Ich hechte durchs Häuschen, und eine große Glückskatze hechtet panisch durch den Garten ins Wohnhaus. (JEDER wäre panisch davon gerannt …) Kurze Zeit später lernen wir auch Pete, unseren Vermieter kennen, ein ebenfalls sehr freundlicher Mann, der im Übrigen Dresden kennt, weil er vor ein paar Jahren für Volkswagen gearbeitet hat. Wir plauschen und erfahren, dass zum Haus sogar zwei Katzen gehören. Die dicke Fluchtkatze heißt Smudge („Flecki“) und mag Fremde nicht allzu sehr, aber ihre kleinere Schwester Fudge („Toffee“) lernen wir kurz darauf kennen – und die kann uns und speziell Frau R. so gut leiden, dass sie sich später am Nachmittag auf ihrem Schoß zum Pennen niederlegt und allgemein sehr freundlich zu uns ist. Pete meinte, ich hätte jetzt eine Freundin für’s Leben 🙂 Katze auf’m Schoß heißt: Der Urlaub ist schon ein voller Erfolg, egal was noch kommt.
Das Dörfchen ist in der Tat ein Dörfchen, hat viele alte Häuser (die eine Seite der Straße steht unter Beobachtung der Denkmalschutzbehörde, was schlecht für die Besitzer ist; unsere Seite ist genau so alt, aber hier darf man fast alles machen, was man will), den erwähnten Pub („The Pilgrim“, einer der besten in der Gegend, und die Burger sollen wohl legendär sein – wir werden das testen), einen kleinen, von Freiwilligen betriebenen Dorfladen, eine Kita, in der man auf Antrag seine Kinder für 30 Stunden je Woche kostenlos(!) betreuen lassen kann, eine Kirche und ansonsten jede Menge frische Luft und Landmaschinen. Die – also die Landmaschinen – mähen ohne Unterlass bis in die späte Nacht hinein, was insofern etwas stört, als beim rückwärts fahren ein enervierender Piepton erschallt. Nun, man weiß ja nie, wer sich so auf dem Feld herumtreibt und hinter einem Mähdrescher herumwuselt. Ansonsten war North Marston mal eine berühmte Pilgerstätte, weil dort ein heiliger Mann (John Schorne) mal den Teufel „mit seinem Stiefel ausgeschüttet“ hat. Diese – natürlich wahre – Begebenheit wird in der Kirche durch eine kleine alte Schnitzfigur und Kinderzeichnungen immer wieder ins Gedächtnis der Gemeinde geholt. Und um dem die Krone aufzusetzen gibt es im Dorf auch eine Quelle, die an das historische Ereignis erinnert. Das Wasser kann man nicht mehr trinken, was mich an der Geschichte bzw. dem Heiligenstatus des Protagonisten arg zweifeln lässt. Wenigstens kann man interaktiv werden und durch betätigen der Pumpe den Teufel aus dem Stiefel heraus schauen lassen. Der Apparatismus quietscht so sehr, dass ich meine Bemühungen einstelle. Wir wollen doch nicht schon am ersten Tag negativ auffallen.
Die Tatsache, dass Fudge sich so entspannt auf Frau R. niedergelassen und uns damit quasi in die Familie aufgenommen hat, wird von Pete und Rachel mit Erstaunen registriert. Wir beweisen, dass wir katzenerfahren sind, und wir kommen abends noch sehr lange ins Plauschen mit Pete, während Rachel verzweifelt versucht, ihren Mann zu einer wichtigen Tätigkeit ins Haus zu beordern. Wir erfahren, dass wir auf einem Grundstück leben, auf dem Mauerreste zu finden sich, welche sich teilweise wahrscheinlich bis ungefähr ins Jahr 1200 zurückdatieren lassen. Früher stand auf diesem Grundstück das Herrenhaus (deshalb auch der Grundstücksname „Manor Farm“); nachdem dieses aber verfallen war und abgerissen wurde, nahm den Platz eine Molkerei nebst Ställen ein. Da, wo wir unsere Körper zur Ruhe betten, standen früher die Transportpferde; Küche und Bad waren der Schweinestall. Hier muss ich intervenieren: In der Küche war der Schweinestall und im Bad wohnten die Hühner. Und die Fenster dieser beiden letztgenannten Ställe wären wohl noch original. Hm, auch irgendwie bedenklich … Rachel und Pete haben das Grundstück und die Gebäude vor zehn Jahren erworben und behutsam um- und ausgebaut. Unser Ferienhäuschen hat deshalb noch schöne alte Balken, aber der Stallgeruch ist schon lange verflogen. Im Dorf gibt es einen Verein, der sich intensiv und schon seit langem mit der Geschichte von North Marston beschäftigt. Entstanden ist bereits ein dicker Bildband mit vielen persönlichen Geschichten und Hintergrundinformationen, an einem zweiten Wälzer wird derzeit gearbeitet. Und im Rahmen der Erforschung der Dorfgeschichte wird gemutmaßt, spekuliert, gehofft, dass in jenem Haus dereinst King Henry VIII. genächtigt haben soll. Wenn sich diese Vermutungen bewahrheiten sollten, dann wird der Übernachtungspreis für den Stall wohl in unbezahlbare Höhen steigen. Gut, dass wir schon dieses Jahr hier sind! 😉
Wir vertilgen weitere Buchseiten, Roséwein, Schokokekse und gute Landluft und gehen wiederum glücklich zur Ruhe.