Donnerstag, 7. August:
Vogelsang IP
Malerisch am Steilhang über dem Urftsee gelegen, erstreckt sich eine Anlage, wie sie so hässlich eigentlich nur die Nazis hingeklotzt haben können. Und tatsächlich hat sich dort in den Jahren 1934 bis 1939 ein Architekt mit dem passenden Namen Clemens Klotz im Auftrag des Obernazis und Reichsarbeitsministers Ley verwirklicht und eine der sogenannten „Ordensburgen“ in die Landschaft gedübelt. Trutzig und wuchtig hingerotzt und mit Wohn- und Bildungsbauten, Sport- und Feierplätzen sowie sogar einer Schwimmhalle ausgerüstet, ist es ein weiterer architektonischer, tausendjähriger Reichsklumpen von diskussionswürdiger Schönheit.
Die Ordensburgen dienten dazu – bzw. sollten dazu dienen, mehr dazu später –, NSDAP-Führungskader heranzuzüchten. Auf moralische Tauglichkeit geprüft, handselektiert von Kommissionen und oft von Ley persönlich, bekamen Kandidaten mit Potenzial hier die Möglichkeit, ihr theoretisches Wissen um so wichtige Themen wie Rassenlehre, Geschichte der Wikinger und anderer germanischer Völker, Verwaltung und Kameradschaft zu erweitern und ganz nebenbei – und mangels Personal überwiegend, dazu später – auch noch den windhundledernen Körper zu stählen, indem ihm abseits des normalen Drills auch noch Boxen, Reiten, Fechten und anderes beigebracht wurde.
Angedacht war sogar Flugunterricht, aber das scheiterte an einem Flugplatz – und wie viele der vorab genannten Sachen an der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den Nazis. Angefangen vom nur unzureichenden und unzureichend geschulten Ausbildungspersonal aus der zweiten bis dritten Reihe über die Tatsache, dass der eigentlich geplante Umfang der Anlage am Ende nur vierzig Prozent erreichte, über den Stillstand in Bau und Erziehung wegen des von Deutschland angefangenen Krieges bis hin zum Umstand, dass schlussendlich nicht einmal alle geplanten Ordensburgen überhaupt gebaut wurden und der damit eigentlich angestrebte Kursdurchlauf mit dem aufeinanderfolgenden Aufenthalt in diesen Burgen nie stattfand: Am Ende war der Output dieses Kaderprogrammes quantitativ und qualitativ eher unzureichend. Was aber nicht bedeutete, dass nicht doch einige Absolventen der Ordensburg später in den vorübergehend okkupierten Ostgebieten Schaden an Menschen und Material anrichten konnten. Die wenigsten wurden dafür nach dem Krieg zur Rechenschaft gezogen. Ley allerdings wurde verhaftet und machte kurz vor Prozessbeginn den Göring. Jedoch per Strick. Auf’m Klo. Tschüss!
Nach dem Krieg wurde die Anlage zur Verwaltung an Belgien übergeben, das zwar keine offizielle Besatzungsmacht war, aber die ehemalige Ordensburg militärisch nutzte. Ein Teil der Baracken und Gebäude wurde als Kaserne weiter betrieben, ein Teil abgerissen, neue Gebäude errichtet. Später diente das Gelände als NATO-Trainingsgelände für die westeuropäischen Staaten.
Das Kürzel „IP“ steht für „Internationaler Platz“, weil es heute für ca. 250.000 Besucher im Jahr aus vielen Ländern der Welt als Begegnungs- und Erinnerungsstätte fungiert. Es gibt Dauer- und Sonderausstellungen zum parteipolitischen Zuchtprogramm der schrumpfgermanischen Herrenrasse sowie zur Natur und Tierwelt der umgebenden Eifel, und auch ein Gästehaus und ein Sitz des DRK sorgen dafür, dass Vogelsang IP heute kein toter Platz ist.
Wir empfehlen ganz eindeutig die ungefähr eineinhalb Stunden dauernde Führung, auch weil man nur im Rahmen dieser Blicke in die Baracken, ins Wirtshaus und ins ehemalige Kino der Belgischen Armee (der 50er-Jahre-Charme ist optisch und olfaktorisch unübertroffen!) werfen kann. Eine Turmbesteigung mit grandioser Aussicht wäre bei vorheriger Buchung – die Teilnehmerzahl ist begrenzt, und der geführte Aufstieg kostet extra – auch möglich gewesen, wurde aber zeitlich knapp und wegen eines leicht angeschlagenen Knies abgewählt.
(Was ich an dem Zeitungsausschnitt aus dem „Angriff“ lustig finde? Die Reihenfolge und Gesamtwirkung der eigentlich gar nicht zusammengehörenden Überschriften: „Auslese ohne Vorurteile“ – „Fallschirmabsprung als Mutprobe“ – „Drei Tote“. Das spiegelt die manchmal unfreiwillige Komik im Tun und Publizieren der Nazis wider.)